Wer ist hier eigentlich krank? Er hat die Diagnose, aber ich habe den Stress. Ihm geht es körperlich gut. Er arbeitet kaum noch, macht, was ihm gefällt. Sorgen scheint er nicht mehr zu kennen. Überhaupt scheint ihn wenig an unserem Leben zu stören.
Ich dagegen habe schon vier Kilo verloren, renne von Job zu Job. Ohne Aussicht auf eine längere Pause. Mein Urlaub im vergangenen Jahr: ganze 9 Tage. Muss mich um alles kümmern: Beratung, Behörden, Termine für seine Logopädie. Dazu Schulanmeldung, Arzt- und sonstige Termine für die Kinder. Buchhaltung für meine selbstständige Arbeit, denn die Steuerberatung können wir uns jetzt nicht mehr leisten. Und die große Frage: sollen wir uns scheiden lassen, damit unsere Kinder und ich nicht komplett verarmen, wenn er ins Heim muss? Das werde ich ganz allein entscheiden müssen. Wie ich auch sonst alles allein entscheiden muss. Denn Entscheidungen treffen, das kann er schon lange nicht mehr. Will er auch gar nicht. Diese Dinge interessieren ihn nicht mehr.
Er schläft wie ein Baby, ich habe Schlafstörungen. Fast jede Nacht quält mich die Unsicherheit, die Frage, wie das alles weitergehen soll. Wie ich die Kinder groß kriege. Irgendwann allein. Wie ich ein Leben in Hartz IV vermeiden kann. Das will ich unbedingt. Unbedingt! Aber habe ich überhaupt eine Chance? Ich schaffe ran wie eine Hafennutte, trotzdem reicht mein Einkommen auf Dauer niemals für vier Menschen und schon gar nicht zusätzlich für einen Platz in Pflegeheim. Noch gibt es Reserven. Aber die schmelzen mit jedem Monat weiter ab.
Soll ich aufgeben? Mich krank schreiben lassen? Erst nach sieben Wochen würde ich Krankengeld bekommen. Das Pech der Freiberufler. Fällt also aus. Ach, und krank bin ich ja sowieso schon. Seit ein paar Wochen bin ich wegen Depression in Behandlung. Nicht das erste Mal. Seine Diagnose hatte den Rückfall in die Depression für mich im Schlepptau – nachdem ich viele Jahre ohne Psychopharmaka habe leben können. Doch jetzt ist es wieder da, das dunkle, bleierne Lebensgefühl, das jede Freude zunichte macht und alles in Grau färbt. Dabei bräuchte ich nichts so sehr wie Farbe in meinem Leben!
Laut einer amerikanischen Studie haben bis zu 35 Prozent aller Angehörigen, die einen unheilbar Kranken pflegen, Depressionen. Ich frage mich, wie die übrigen 65 Prozent gesund bleiben. Wie machen die das nur?
Ich habe beim Lesen des Blogs das Gefühl gehabt, mit in der Achterbahn zu sitzen… und ich hasse diese ebenfalls. Eure Geschichte verursacht ein Magengrummeln… Traurigkeit… Hilflosigkeit und auch soviel Verständnis für diese Gedanken und Erzählungen. Mein Mann leidet mit seinen 55 Jahren ebenfalls an frühzeitiger, genetisch bedingter Demenz. Ich bin 46 und sehe mein Leben an mir vorbeiziehen… wie einen Kinofilm ohne Happy End.
Ich kann mich so gut in dich hinein versetzen und deine Ängste und die unbändige Wut verstehen. Man bzw. Frau fühlt sich hilflos, alleingelassen. Auch von Ärzten und Behörden. Die Diagnose steht, weitere ärztliche Ratschläge sind wohl nicht notwendig und von den Behörden mag ich gar nicht erst reden! Krankengeld??? Wozu? Stellen sie mal schön einen Rentenantrag… wird ja eh nicht besser! Behindertenausweis? Wozu? Sie sind noch nicht krank genug…. Ja, was denn nun? Man hängt im Schwebeverfahren, muss sich mit dieser sch…. Krankheit auseinander setzen und stößt nur auf Gegenwehr. Und gut gemeinte Ratschläge. Trenn dich doch, du musst an dich denken und solche netten Sachen….
Schön, dass ihr die Geschichte hier aufschreibt. Vielleicht rüttelt es doch mal den ein oder anderen auf, um intensiver über diese Krankheit mit den vielen Gesichtern nachzudenken und diese auch „alltagstauglich“ zu machen.
Liebe und verständnissvolle Grüße!!!
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