Verschnaufpause

Wir haben ihn besucht, nur die Kleine und ich. Ganz allein, ohne Stütze, ohne Tröster, ohne doppelten Boden – sprich ohne meinen Freund. Und das war genau richtig so. Das Treffen verlief sehr entspannt, fast schon harmonisch. Gar kein Vergleich zu unseren Besuchen vorher. Vielleicht bekommen wir auch langsam Routine bei unseren Demenz-Familientreffen. Auf jeden Fall war es eine gute Idee, allein zu fahren.

Seit unserem letzten Besuch im Februar scheint die Demenz nicht wesentlich fortgeschritten zu sein. Neue Ausfälle habe ich nicht bemerkt, jedenfalls nicht bei der Sprache. Allerdings ist er ja schon länger nahezu stumm, viel weniger sprechen geht kaum. Umso überraschender, als er im Hafen seiner Heimatstadt, wo wir an der Mole sitzen, plötzlich etwas sagt: „Silbermöwe“ und auf einen Vogel deutet, tatsächlich eine Silbermöwe. Die Kleine erfreut: „Papa hat etwas gesagt!“

Körperlich scheint er allerdings abzubauen. Er wirkte etwas ungepflegt und hatte eine Schleimbeutelentzündung am linken Ellbogen. Auch ein Fuß war geschwollen. Wie das passiert ist und ob er beim Arzt war, konnte ich nicht herausbekommen. Ich werde seine Schwester, also seine rechtliche Betreuerin, darauf aufmerksam machen.

Natürlich gab es auch wieder Tränen bei der Kleinen, wenn auch weniger als bei den vorherigen Besuchen. Beim Abschied war sie untröstlich. Doch das wäre sie sicher auch, wenn wir ohne Demenz-Drama geschieden wären und Papa weit weg lebte. Auch sie scheint sich etwas besser an die Situation gewöhnt zu haben. Mir kommt es vor, als ob die Demenz uns eine kleine Verschnaufpause gewährt. Wenn es nur so wäre.

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