Ich habe kaum noch auf eine Entscheidung gehofft, aber nun hat das Familiengericht einen Beschluss gefasst: Das Sorgerecht meines demenzkranken Ex-Mannes für unsere jüngere Tochter ruht, „da der Vater auf längere Sicht die Sorge tatsächlich nicht ausüben kann“, wie das Gericht schreibt. „Damit übt der andere Elternteil die Sorge allein aus“. Nichts anderes macht der „andere Elternteil“, also ich, seit Jahren. Gut, dass ich jetzt ein Stück Papier habe, um es vorzuzeigen, wenn ein Arzt, die Schule oder sonst wer diesen Umstand anzweifelt.
Um zu dieser Entscheidung zu kommen reichte dem Gericht kein Arztbericht und auch nicht die Diagnose. Das Jugendamt musste eine mehrere Seiten lange Stellungnahme zu unserem Fall geben (es hatte keine Einwände, dass die Mutter die Sorge allein ausübt). Außerdem wurde das Amtsgericht auf der schönen Insel, wo mein Ex-Mann lebt, um Amtshilfe ersucht. Dort hat nun eine Anhörung stattgefunden, um meinen Ex-Mann zu meinem Antrag zu befragen. „Sprachlich konnte er sich aufgrund seiner Erkrankung nicht äußern“, steht dazu im Protokoll. Hat man ihn und seine Betreuerin wirklich in die Kreisstadt zu einem Gerichtstermin einbestellt? Oder ist ein Rechtspfleger in die Pflegeeinrichtung meines Ex-Mannes gekommen, um ihn amtlich zu befragen? Absurde Vorstellung. Und so unnötig. Ich hatte extra mit meinem Antrag gewartet, bis mein Ex so fortgeschritten dement war, dass er sicher nicht mehr versteht, worum es geht. Ich wollte nicht, dass er sich unnötig aufregt, und hatte gehofft, dass die Arztberichte und die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung ausreichen würden. Aber Sorgerecht ist in Deutschland eben ein hohes Rechtsgut. Fortgeschrittene Demenz und Sorgerecht schließen sich allerdings aus. Um diese Tatsache festzustellen, braucht es doch nicht einen solchen Aufwand. Und auch nicht über sieben Monate, die der ganze Prozess gedauert hat.
Ich kann nur hoffen, dass mein Ex-Mann von all dem möglichst wenig mitgeschnitten hat und er nicht zu sehr in Aufruhr versetzt wurde. Das kann leicht passieren, wenn er nicht versteht, was los ist. Hoffentlich denkt er nicht, dass er seine Tochter nicht mehr sehen kann. Das ist natürlich nicht der Fall. Wir werden ihn schon bald wieder besuchen.
Was bekommt er überhaupt noch mit? Sehr schwer zu sagen. Manchmal beneide ich ihn darum, in seiner eigenen Welt zu leben, sich um nichts mehr kümmern zu müssen und vom derzeit besonders deprimierenden Weltgeschehen nicht mehr berührt zu werden. Der Krieg in der Ukraine kann ihn nicht beunruhigen. Vermutlich weiß er gar nichts mehr anzufangen mit Begriffen wie „Krieg“, „Flucht“, „Beschuss“, „Atomkraftwerk“ oder „erhöhte Alarmbereitschaft“. Demenz kann eine Gnade sein.