Ich bin keine Witwe und doch fühlt es sich genauso an. Der Vater meiner Kinder lebt, aber ist nicht mehr er selbst. Wir können ihn besuchen, wir können ihn in den Arm nehmen. Noch weiß er, wer wir sind. Er reagiert auf unseren Besuch. Aber was in ihm vorgeht, kann keiner mehr sagen. Denn die Sprache ist weg. Vollständig weg.
Er weiß nicht, dass unsere große Tochter in diesem Monat ihre Ausbildung beginnt, in einer anderen Stadt, weit weg von Berlin. Dass sie ihre erste feste Beziehung hat und mit ihrem Partner zusammenlebt. Er weiß auch nicht, dass unsere große Tochter im Winter einen Unfall hatte und mit zwei gebrochenen Füßen einige Wochen im Rollstuhl sitzen musste. Er weiß nicht, dass unsere jüngere Tochter – wie auch die große – eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, die jetzt in der vierten Klasse stark aufgefallen ist und behandelt werden muss. Er weiß nicht, dass die kleine Tochter kürzlich ihren letzten Milchzahn verloren hat. Und nicht, dass sie mit Begeisterung Ballett tanzt. All das habe ich ihm bei unseren Besuchen erzählt. Ob es angekommen ist? Ich denke nein. Sein Blick wich aus, er starrte an mir vorbei ins Leere. Wie immer. Egal, ob ich von den Kindern spreche oder vom Wetter, sein Blick ist immer gleich leer.
Wie das ist, Vater zu sein, möglich, dass er das noch fühlt. Nach außen dringt davon nichts mehr. Ich bin mit unseren Kindern allein. Und so bin ich doch auf eine Art Witwe, Demenz-Witwe.
Liebe Aphasia,
Juli 2017 wurde auch bei meinem Mann FTD/PPA diagnostiziert. Dein Blog und deine Links haben mir sehr geholfen diese Krankheit besser zu verstehen. Mein Mann verstarb vor einem Monat in der Akutgeriatrie. Ich hatte ihn gerade in einem Pflegeheim unterbekommen, aber da er sich dort total verweigerte, aggressiv dem Pflegepersonal gegenüber zeigte, kam nur noch ein geschlossenes Pflegeheim in Frage. Seine Demenz was so weit fortgeschritten,dass man auch in der Akutgeriatrie ihm nicht helfen konnte. Er verstarb dort nach ein paar Tagen.
Wir waren fast 50 Jahre zusammen, ich vermisse ihn.
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Liebe Elke, es tut mir sehr leid, dass du deinen Mann an diese grausame Krankheit verloren hast. Ich vermisse meinen auch – jeden Tag.
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Schwarzweiss,
auch unsere Tochter ist seit Mai auf einem Gestüt in der nähe von Münster, sie hat die Oberstufe jetzt gegen eine Ausbildung getauscht, mit 17 weg von Huzause ist schon ein großer Schritt. Meine Frau ist jetzt seit über drei Jahren im Pflegeheim und auch ich kann ihr die Veränderung erzählen ohne zu wissen ob es ankommt. Mit den Jahren merke ich das die Erinnerung an die Persönlichkeit, deren Hülle ich immer noch sehe, immer mehr verblasst. Die Versuche die Leere die jetzt hier herscht mit beschäftigung zu füllen haben eigentlich nicht gefruchtet, ich musste mir eingestehen das mir eine gelebte Beziehung fehlt. Daher wünsche ich dir, das neben der Vergangenheit auch die Gegenwart und die Zukunft ihren Platz findet.
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Lieber Jürgen, danke dir. Das wünsche ich dir auch von Herzen.
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In der Tat, diese Einsamkeit und Witwe sein obwohl der Partner noch lebt ist merkwürdig. Netterweise hab ich Menschen um mich herum, die meine Gedanken verstehen. Helfen tut das aber nur rudimentär. Einsam ist man ja trotzdem. Es gibt so viele Tage und Taten, die nur er kann. Da hilft es so wenig, wenn irgendwer anders Blumen kauft… oder versucht den Geburtstag erträglich zu machen… sich selbst etwas gönnen und nicht darauf warten, dass man es geschenkt bekommt scheint ein echter Lernprozess…. unterm Strich komme ich immer wieder zum gleichen Resume : einfach kacke….
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