Alles außer Rügen

Ich brauche eine Pause, ich brauche eine Mutterkur. Ich hab es endlich eingesehen. Lange hatte ich keine Böcke darauf, lange dachte ich: Das schaffe ich auch so. Aber nein, das war ein Irrtum. Der Alltag hat mich komplett erschöpft. Keine Kraft nirgends. Ich schaffe es nicht mal, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Jeden Morgen schleppe ich mich zur überfüllten Tram, dann ins Büro im 4. Stock. Treppe laufen? Nicht dran zu denken. Noch vor dem Winter war das kein Problem: 6 Kilometer Rad fahren, die Treppe nehmen.

Wo ist meine Kraft hin? Langsam, aber stetig ist sie aus mir rausgeflossen. Es gab einen sehr großen Vorrat an Kraft. Aber jetzt ist alles komplett alle. Meine Kinder, die nur noch mich haben. Kein Vater, der – in welcher Entfernung auch immer – irgendwo noch da ist. Die Arbeit, die immer noch befristet ist. Mein Umfeld, von dem ein Teil mich verurteilt, sich von mir abgewendet hat, weil ich mich von meinem kranken Mann getrennt und eine neue Liebe gefunden habe.

Aber auch diese Liebe ist jetzt Geschichte. Es war klar, dass die Beziehung nicht auf Dauer angelegt war. Sie hat geholfen, zu verdrängen, weiter zu machen, irgendwie. Jetzt wo sie nicht mehr ist, denke ich wieder öfter daran, wie es mit meinem Mann war, als er noch gesund war und wir glücklich miteinander. Schmerzhafte Erinnerungen, die nahezu komplett verschüttet waren durch die neue Liebe. Dazu noch der Tod meines Vaters. Es war alles zu viel.

Heute habe ich mich beraten lassen, um eine Mutter-Kind-Kur zu beantragen. „Wo würden Sie denn gern hinfahren, an die Küste vielleicht?“, fragte die Beraterin. Die Küste, ich war sofort wieder bei meinem FTD-Mann, an der Küste, auf der schönen Insel. Und wie aus der Pistole geschossen sagte ich: „Egal wohin, alles außer Rügen, bitte.“

3 Gedanken zu “Alles außer Rügen

  1. Wenn sich dir die Möglichkeit bietet eine Kur zu bekommen ist das gut, ich greife auch nach jedem Strohhalm. Ich wünsche dir das du im laufe der Zeit wieder Momente bekommst in denen das Leben auch seine schönen Seiten wieder zeigt.

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  2. Hallo!
    Verfolge eine Beiträge schon eine ganze Zeit. Mein Mann ist auch an FTD erkrankt. Als sie/ du geschrieben hast, das du dich scheiden lässt habe ich gedacht: wie kann sie nur? Als du einen anderen Mann kennen gelernt hast, habe ich gedacht : wie kann sie das nur machen. Heute kann ich nur sagen: Du hast alles richtig gemacht. Ich habe meinen Mann Zuhause. Unsere Kinder sind erwachsen und ich kann nur sagen: Es ist dir und den Kindern durch die Trennung vieles erspart geblieben. Ich wünsche dir von Herzen, dass du und deine Kinder einen Weg findet um wieder zu leben.

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  3. Liebe Aphasia,
    an der deutschen Weinstraße ist es wirklich sehr schön 😉
    Ich habe so eine Kur auch vor und wollte diese Woche zum Arzt.
    Hoffentlich pack ich das, ist ja schon wieder Donnerstag.
    Du machst das sehr gut, und Menschen, die sich abwenden und Dich verurteilen, tun dies vielleicht auch nur temporär. Höre auf Dein Herz ist und sieh in den Spiegel. Alles Andere zählt nicht.
    Ich weiß nicht, ob Du gläubig bist. Dies ist mein liebster Text:
    Eines Nachts hatte ich einen Traum:
    Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel
    erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,meine eigene und die meines Herrn.
    Als das letzte Bild an meinen Augen
    vorübergezogen war, blickte ich zurück.
    Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges
    nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.
    Besorgt fragte ich den Herrn:
    Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich,
    dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
    Warum hast du mich allein gelassen,
    als ich dich am meisten brauchte?

    Da antwortete er: Mein liebes Kind,
    ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
    Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
    da habe ich dich getragen.

    Ich wünsche Dir erstmal „gute“ Zeit bis zu Deinem nächsten Eintrag.
    Sieh nicht auf das, was Dir genommen wird, eher auf das, was bleibt, aber vor Allem auf das, was kommt.
    Ich umarme und verstehe Dich
    Tanja

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