„Mama, wir müssen über Papa sprechen. “ Meine siebeneinhalbjährige Tochter steht vor mir und blickt mich herausfordernd an, „Das ist ganz wichtig für mich.“ Es ist endlich Wochenende und ich liege erschöpft auf dem Sofa, froh, die Arbeitswoche überstanden zu haben, die Einkäufe, die Wäsche und die ganze Organisation des Alltags, der keine Rücksicht nimmt auf meine Befindlichkeiten. Auf die Befindlichkeiten meiner beiden Töchter auch nicht. Aber dafür habe ich nicht immer ein Augenmerk. Jetzt aber schon. Mit einem Mal ist meine Müdigkeit wie weggeblasen. „Worüber möchtest du denn sprechen?“, frage ich. Mit Schuldgefühlen, die sofort da sind. „Mama, ich habe die ganze Zeit eine Blase über meinem Kopf, die reicht von der Ostsee bis Berlin. Und die ist voll von meinem kranken Papa. Die muss kleiner werden“, sagt meine kluge, große Kleine. Und ich kann nichts anderes machen als sie in den Arm zu nehmen. Mein wunderbares starkes Mädchen. Die so gut sagen kann, was sie braucht. Die die Sprachlosigkeit nicht mehr ertragen kann, die bei uns zu Hause Einzug gehalten hat, seit ihr Vater an FTD erkrankt ist.
Jetzt ist es an mir, die Sprache wiederzufinden, nachdem mein Ex-Mann sie durch die FTD verloren hat. Und ich gleich mit. Denn bisher kann ich mit meinen Mädchen nicht darüber reden. Wie es früher war, mit einem gesunden Vater und Mann (der ein wunderbarer Vater war). Was ich seit der Diagnose fühle. Und was nicht mehr. Wie ich die Gefühle für meinen Mann, der nicht mehr er selbst ist (oder doch irgendwie?), verdrängt, durch eine neue Liebe ersetzt habe. Nur um irgendwie weiter zu leben. Nur um alles zu schaffen, was zu einem „normalen“ Leben gehört. Nur um nicht völlig in Trauer zu versinken.
Das wird ein hartes Stück Arbeit. Ein äußerst schmerzhaftes. Aber wie es scheint, führt daran kein Weg vorbei, wenn ich meine Töchter nicht auch noch an die FTD und ihre Auswirkungen verlieren will.
Liebe Aphasia,
es vergeht selten ein Tag, an dem ich nicht wenigstens einmal an Dich und Deine Kinder denke
in der Hoffnung, dass es Euch einigermaßen gut geht. Oft denke ich auch :“Wie war das bei ihr? Hat sie sowas auch erlebt, wie ist sie damit umgegangen ?“ Manchmal finde ich tatsächlich erschreckende
Parallelen an denen ich mich orientieren kann. Manchmal bisher, immer öfter seit Neuestem.
Was ich durch Dich bereits gelernt habe : Es gibt kein Entkommen vor der Trauer. Keine Distanz ist groß und weit genug. Nicht heute, nicht morgen. Durch meine Scheidung von meinem ersten Mann weiß ich, wie Trennung sich anfühlt und das es ein Neuanfang ist.
Das ist hier nun nicht möglich, es ist etwas ganz anderes.
Ich bin und bleibe verbunden über mein Herz, das sehr wohl den Mann noch liebt, über unser Kind, über unsere Vergangenheit, die oft schon schwer aber glücklich war.
Am Sonntag wollte ich ausziehen, am Montag habe ich entschieden, dass es uns nicht helfen wird.
Noch nicht.
Übrigens hat mir Dein Beitrag über die „Sätze, die Du nicht mehr hören willst“ am Besten gefallen.
Ich habe auch so einen gehört :“Wow, Du bist echt hart im Nehmen !“
Was ein Wort-Quatsch. Das hab ich mir nicht ausgesucht und genommen. Ich fühle mich wie jemand, der ein 100kg schweres Gewicht überm Kopf hält und bald zusammenbricht, aber auch nicht einfach ablegen kann ohne sich zu verletzen oder zu erschlagen. Und dann steht einer daneben, Hände in der Tasche und sagt „Du bist aber hart im Nehmen, Respekt“ Applaus, Applaus, Applaus
Liebe Aphasia, manchmal würde ich Dich einfach gerne in den Arm nehmen und ganz fest drücken
und Dir sagen :“sieh, wie schön das Leben trotzdem ist. Bei all dem Leid gibt es so viel Schönes“
Ich hoffe, Du tanzt noch. Ich singe mir die Seele aus dem Leib.
Bei uns hier an der Weinstraße ist schon der Frühling voll da und die Mandelbäume blühen.
Da denke ich an meinen lieben Papa, der letzten September verstarb und freue mich einfach, dass ich leben darf, dass ich gesund bin, meine Kinder es sind und es irgendwie alles gut werden wird.
Ich wünsche Dir ganz, ganz viel Kraft in der Traurigkeit trotzdem die Hoffnung
auf das Seelenglück nicht zu verlieren.
Ich umarme Dich
Tanja
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