Ich bin weggelaufen. Ich bin gerannt um mein Leben. Um das Leben meiner Kinder. Ich bin gerannt wie noch nie. Gerannt, gerannt, immer weiter. Nach vorn, nur weg, dahin wo das Leben ist. Ein Leben ohne Demenz.
Ich arbeite, ich erziehe meine Kinder ohne Vater, ich kaufe ein, ich koche, ich putze, ich tue alles, was man tun muss. Ich liebe einen Mann, ich pflege einen Garten, treffe die besten Freundinnen der Welt (die mir noch geblieben sind), ich tanze Tango, wann immer das möglich ist. Ich WILL glücklich sein, einfach nur leben. Ich will, ich will.
Und doch. Der Schmerz ist immer da. Der Schmerz lauert unter der Oberfläche des Alltags. Nur eine dünne Schicht trennt mich vom Schmerz. Wie hauchzartes Eis über einer Pfütze auf einem Feldweg, das in der ersten Frostnacht des Winters entstanden ist. Ein Schritt und das Eis bricht. Nur ein Schritt. Kein energisches Stampfen, kein Trampeln ist nötig, um das Eis zu brechen. Nur ein sanfter Schritt. Ein leichtes Knirschen, ein helles Klirren, und schon liegt der Schmerz frei. Schon ist er da. Mit voller Gewalt. Er brüllt, er schlägt um sich. Und mir wird klar: der Schmerz war immer da, bleibt immer da. Egal, wie laut der Alltag ist, wie viel ich auch tue, damit mein Alltag laut und voll ist. Der Schmerz ist da. Ich kann ihm nicht entkommen. Niemals.
Der Vater meiner Kinder, den ich so liebte, er lebt, doch er ist nicht mehr er. Aber er war. Er war. Er ist da, aber doch nicht. Das ist unfassbar. Das werde ich niemals begreifen. Wie jemand verschwinden kann und trotzdem noch da ist. Meine Kinder begreifen es noch weniger. Die Große kann nicht einmal darüber sprechen. Wir sind drei vom Schmerz Gezeichnete. Das dünne Eis trennt den gewaltigen Schmerz von uns. Meistens. Zeitweise. Doch plötzlich bricht das Eis. Unvermittelt, brutal, unvorhersehbar. Ein unvorsichtiger Schritt. Wir wissen nie, wann es passiert. Und für jede von uns zu einem anderen Zeitpunkt. Schmerz macht einsam. Auch wir drei sind einsam. Jede für sich in ihrem eigenen Schmerz.
merkwürdigerweise Aphasie laut Wikipedia bedeutet Sprachlosigkeit….
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Ich glaube jeder Betroffene versucht auf seine Art mit der Situation klar zu kommen. In meiner Therapiegruppe habe ich neulich auch zugegeben das ich mich mit Beschäftigung zuschütte, ohne fühle ich keinen Schmerz, sondern eine komische Leere. Bei uns stabilisiert sich zumindest der Alltag etwas. Wir (meine Tochter und ich) kochen öfters wieder Abends zusammen und gestern hat sie sogar gefragt wie es Mama im Pflegeheim geht. Wie wird es ihr gehen wenn der Frust und Ärger über Mama abgeklungen und der Verlust bewusst wird.
Ich wünsche dir das in Zukunft das „Niemals“ zu einem irgendwann wird.
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