Ich werde ihn besuchen. Am Wochenende fahre ich mit meiner Kleinen zu ihm an die Küste. Seit fast drei Monaten lebt er nicht mehr bei mir. Und ich nicht mehr in Aphasialand. Zumindest nicht mehr räumlich. Er lebt an der See, in seiner alten Heimat. Ich hier in Berlin mit unseren Kindern.
Und doch ist Aphasialand immer noch in mir, bei mir, immer da. Ja, ich muss ihn nicht mehr pflegen, muss nicht mehr Angst haben, dass er etwas tut, was meinen Kindern oder meinen Nachbarn oder mir schaden könnte. Und doch ist die Sorge geblieben, die Sorge um ihn. Wie geht es ihm? Kommt er zurecht? Am Telefon kann er mir fast nichts sagen. Mit der Sprache geht es rasant bergab. Unsere Telefonaten sind meist so: „Wie geht es dir?“ „Gut“. Viel mehr kommt da nicht. Ich möchte es gern glauben. Es SOLL ihm gut gehen. Bitte. Aber die Sorge bleibt. Kümmern sich seine Geschwister um ihn? Kommt da ein Pflegedienst wie besprochen? Sagt ihm täglich jemand: Nimmt deine Tabletten, trink bitte was, dusch dich?
Mein Alltag mit zwei Kindern ohne Vater und dem Vollzeitjob lässt kaum Raum für die Sorge. Aber sie ist da. Unterschwellig. Und sie überfällt mich mit Vorliebe nachts. Ich schlafe unglaublich schlecht. Immer wieder wache ich auf: Sorge. Albträume: Sorge. Sie begleitet mich auf meinem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad und hat mir schon so manchen Beinahe-Unfall beschert. Denn auf dem Fahrrad, das war schon immer so, kann ich sehr gut nachdenken. Ich fahre die bekannten Wege wie im Schlaf. Die Gedanken schweifen nur zu leicht an die Küste, auf die schöne Insel, wo er lebt.
Aphasialand ist nur einen Wimpernschlag entfernt. Ein Teil von mir ist dort geblieben.