Nix

Wir hatten Besuch von der Betreuungsbehörde. Ich hatte ja beim Amtsgericht den Antrag auf Betreuung für meine Ex-Mann gestellt. Denn ich schaffe es weder zeitlich noch nervlich mich weiter um seine Belange zu kümmern. So laufe ich seit etwa neun Monaten dem LAgeSo wegen eines Behindertenausweises hinterher. Inzwischen wird mein Widerspruch von August bearbeitet – bisher immer noch ohne Ergebnis. Auch andere Dinge dauern in Berlin unfassbar lange. Obwohl ich schon fast drei Jahrzehnte hier lebe, fällt mir das erst jetzt auf, wo ich immer wieder mit den diversen Behörden zu tun habe, die sich um die Folgen von Krankheit, Arbeitsunfähigkeit und Behinderung kümmern. Das scheinen von allen Behörden die mit Abstand langsamsten zu sein.

Ich hätte mir also eigentlich denken können, dass es mit der Betreuung durch einen amtlichen Betreuer auch dauern würde. Habe ich aber nicht. Ich hatte mir doch tatsächlich eingebildet, dass die Ämter in unserem Fall Gas geben. „Sie müssen mit einem halben Jahr Bearbeitungszeit rechnen, mindestens“, eröffnete mir die Sachbearbeiterin, die sich bei uns in der Wohnung ein „Bild von der häuslichen Situation“ machte. Sechs Monate, das sei schon das schnellste, was überhaupt möglich, aber hier auch geboten sei. Denn es liege Dringlichkeit vor, das habe sie bereits notiert. Aber Behörde und Gericht bräuchten eben ihre Zeit. „Sie müssen eben noch ein bisschen durchhalten“, meinte sie aufmunternd. Und ganz streng zu meinem Ex: „Herr T., Sie müssen aber auch mal einlenken, ok, ja?“ Hat sicher ungeheuer Eindruck auf ihn gemacht.

Nein, ich kann nicht mehr durchhalten. Es ist mir egal, wie lange irgendwelche Sesselpupser in irgendwelchen Amtsstuben für irgendwas brauchen. Dann hat er eben keine Betreuung. Dann kümmert sich eben keiner um seine Finanzen, Anträge, Arzttermine.

Der Staat ist ja sogar so frech, mir die Steuerklasse 2 zu verweigern. Begründung: der Kindesvater lebt im Haushalt. Aus diesem Grund kann ich auch keinen Unterhaltsvorschuss für die Kinder beantragen. Was wiederum zur Folge hat, dass ich weiter 40 Stunden arbeiten muss, sonst reicht das Geld für mich und die Kinder hinten und vorn nicht. Ich ernähre und erziehe also zwei Kinder ganz allein und kümmere mich zusätzlich um einen schweren Pflegefall. Und der Staat honoriert das, indem er mich wie einen kinderlosen Single besteuert. Und nein, vom Pflegegeld habe ich nichts. Das wird von der Kasse an den Pflegebedürftigen ausgezahlt. Und der kann selbst entscheiden, was er damit macht. Tagespflege? Stundenweise Betreuung oder Begleitung? Nö, braucht er alles nicht, findet er. Mein Ex kauft lieber Tonnen an Süßigkeiten und Spielzeug für sich und unsere Jüngste.

Wieso gibt es eigentlich keine Entmündigung mehr? Hat da mal jemand an die Angehörigen gedacht, die das ausbaden müssen?

Das Lieblingswort meines Ex‘ – und auch eines der wenigen Worte, die er noch ohne Zögern über die Lippen bekommt – ist: Nix. Wie passend. Nix, einfach nur nix.

3 Gedanken zu “Nix

  1. Das darf doch nicht wahr sein!
    In Bayern können wir uns das einfach nicht vorstellen!
    Vielleicht liegt das aber auch daran, das wir hier in einem Freistaat leben?
    So langsam beginne ich das Theater um den neuen Flughafen zu verstehen!
    Wenn das ganze nicht so traurig wäre, könnte ich nur noch lachen!
    In welch einem Land leben wir eigentlich?

    Gefällt 1 Person

  2. Es ist unfassbar und ich finde keine Worte dafür! Es tut mir so unendlich leid, macht mich einfach nur traurig. Nützt auch nichts, zu wissen, dass das leider auch bei vielen anderen so läuft. Es ändert sich sowieso nicht. Ich wünsche Dir einfach nur Kraft, viel Kraft! In Gedanken verbunden. Thomas

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