Ich habe Urlaub. Drei Tage frei von meinem neuen Job als Angestellte. Das ist großartig, aber auch wenig entspannend. Denn mein Urlaub besteht in Telefonaten, die ich auf Arbeit (Großraumbüro) nicht erledigen kann. Und Schriftverkehr, für die ich auf meiner Arbeit weder Zeit noch Nerven hätte.
Die Atempause ist nicht eingetreten. Die Klinik hat den Aufenthalt meines Mannes abgesagt, auf unbestimmte Zeit verschoben. Es ist kein Bett frei. Klar, in Berlin ist alles überfüllt und chaotisch, offenbar auch Station 152 B, die Neuropsychiatrie. Und so werde ich jetzt ohne die Hilfe der Sozialarbeiterin den längst fälligen Pflegegrad für meinen Mann beantragen. Ich hatte auch gehofft, dass mich seine Familie dabei unterstützt. Ich hatte ihnen einen langen Brief geschrieben über seine Krankheit und die Situation, in der ich mit den Kindern und ihm bin. Das war vor etwa fünf Wochen. Bisher keine Reaktion, keine Antwort. Nichts. Da kommt auch nichts mehr. Die lassen uns allein. Die lassen mich allein. Die lassen ihn allein. Aber ist so. Hilft ja nichts darüber zu jammern. Immerhin weiß ich jetzt, dass von der Seite keine Hilfe zu erwarten ist.
Jetzt warte ich auf das bestellte Formular der Krankenkasse zur Beantragung des Pflegegrads. Denn, wie ich erfahren habe, muss er einen Grad haben, um überhaupt auf eine Warteliste für einen Wohnplatz in einer Einrichtung, sei es betreutes Wohnen oder Heim, zu kommen. Und dann wird es nochmal unbestimmte Zeit dauern, bis ein Platz frei wird. Keine Ahnung, wie ich, wie die Kinder das aushalten sollen. Wir sind alle drei schon jetzt am Limit. Keiner von uns fühlt sich mehr zu Hause in unserem Zuhause. Unsere schöne Wohnung ist ein Schlafplatz, ein Essplatz und ein Aufenthaltsraum für einen Demenzpatienten geworden. Alle drei Gesunden versuchen so viel Zeit wie möglich außerhalb der Wohnung zu verbringen.
Die Große ist in psychologischer Behandlung – endlich! Die Kleine regressiert, verhält sich wie ein Baby und nicht wie die Erstklässlerin, die sie ist. Babysprache, einpullern, immer nur: Mami, Mami, Mami. Sie sagt auch: Mama, ich will wieder ein Baby sein, ich will wieder in deinen Bauch. Es zerreißt mir das Herz, wie die Kinder leiden. Darüber vergesse ich manchmal, wie auch er leidet. Als ich ihm zeigte, welche Wohnplätze es geben könnte für ihn, schöne, kleine Appartements mit Balkon im betreuten Wohnen, fing er an zu weinen. Er WEINTE. Ja, tatsächlich. Sonst gibt es keinerlei emotionale Reaktionen mehr. Aber jetzt weinte er. Ich nahm ihn in den Arm, versprach: Wir kommen dich doch dann besuchen. Aber er war untröstlich. Am Abend, die Kleine lag schon im Bett, hörte ich, wie sie zu ihm sagte: „Papa, du kannst doch in den Keller ziehen, dann bist du nicht so weit weg von uns.“ Und ich sitze auf dem Sofa, recherchiere im Internet nach Wohnmöglichkeiten für Menschen mit FTD, und ihre Worte schneiden wie ein Messer in mein Herz. Ich atme tief ein, halte kurz inne, lasse die Welle aus Mitleid, Schmerz und Trauer über mich hinweg rollen und mache weiter. Einfach weiter.
Ich muss mich hart machen, um das hier durchzustehen. Ich bin wie ein Chirurg, der einen Patienten operieren muss. Ich darf nicht zu viel Mitleid haben, darf nicht an die Schmerzen des Patienten denken, darf mich nicht in ihn hinein versetzten. Sonst könnte ich nicht operieren, könnte nicht mit dem Skalpell in die Haut schneiden. Nur wenn ich ausblende, wer da vor mir liegt, kann ich meinen Job erledigen.
Also telefoniere und recherchiere ich weiter. Denn eins ist klar: Er kann nicht mehr lange bei uns leben. Und damit er an ein guten Ort kommt, muss ich genau jetzt anfangen, den Ortswechsel vorzubereiten. Und wenn es den ersten Urlaub seit unglaublich langer Zeit kostet. Das wäre ja ein geringer Preis. Ich fürchte, es wird noch viel, viel mehr kosten.
Puh. Ich wünsche dir und euch einen akzeptablen Lösungsweg, das ist so hart, was ihr da erlebt!
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Das geht schon sehr schnell bei deinem Mann.meiner ist immer noch mit dem Auto unterwegs.geht Sport machen und macht mich wahnsinnig.er hat letzte Woche hinter meinem Rücken ein Girokonto eröffnet. Erst hat er es verleugnet.irgendwann hat er es dann zugegeben mit der Begründung Ich habe ja auch ein Konto.das ist alles so irrsinnig.der lügt mich nur an das Ausmaß kann man sich nicht vorstellen.manchmal verstehe ich gar nichts mehr.
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Liebe Marianne, ja es geht sehr schnell. Das Auto ist zum Glück verkauft – er ist aber auch noch gefahren, obwohl es schon verboten war. Das mit dem Lügen kenne ich auch. Bei uns sind es Massen an Spielzeug, Chips und Süßigkeiten, die er hinter meinem Rücken der Kleinen kauft und dann in ihrem Zimmer versteckt. Bleib stark!
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