Der letzte Tango

Zwei Jahre lang Tangokurs mit meinem FTD-Mann. Zwei Jahre, in denen es zuletzt buchstäblich keinen Schritt weiter ging. Natürlich nur im Tango. Die FTD schritt in Riesenschritten voran, unerbittlich. Auch das Leben ging weiter, natürlich. Unerbittlich immer weiter. Weiter bergab, weiter voran. Ist es nicht grausam, dass das Leben einfach immer weiter geht, egal, was passiert? Grausam, aber auch tröstlich. Es ist dieses Gemisch aus Grausamkeit und Trost, das mein Lebensgefühl ausmacht. Zu sehen, wie immer mehr immer weniger geht. Und gleichzeitig zu erleben, dass anderes immer größer wird, immer mehr aufblüht, immer stärker wird. Meine Kinder, die wachsen, schlauer, reifer werden. Meine Stärke, Kraft und Ruhe, die angesichts der Katastrophe immer größer werden. Harte Entscheidungen, die zu treffen ich mir nie hätte vorstellen können, fälle ich heute ganz selbstverständlich und routiniert. Als ob ich beim Bäcker entscheide: Schrippe oder Schusterjunge.

Das Leben mit FTD macht hart. Tränen haben ich schon lange nicht mehr. Wann habe ich zuletzt geweint? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich am Anfang der Reise alles rausgeheult habe, was jemals an Tränen in mir war. Jetzt ist da nichts mehr. Nur noch die klare Sicht auf die Dinge, die zu tun sind. Das kann kaum jemand verstehen, der nicht in der selben Situation ist. Und trotzdem meint fast jeder, über mein Handeln, meine Entscheidungen urteilen zu dürfen. Der große Freunde-Schwund geht weiter. Eine Erosion, die nicht zu stoppen ist. Höchstens um den Preis der Selbstverleugnung. Aber dafür bin ich schon zu stark und zu hart geworden.

Und so schließt sich jetzt auch dieses Kapitel: Unser Tango-Kurs ist Geschichte. „Ta min vals“ (Take this Waltz, Leonard Cohen), gesungen von Ebba Forsberg, war einer unserer Lieblingsstücke zum Tango tanzen. Ja, schon klar, ist kein Tango. Es ist ein Non-Tango, einer der schönsten, wie ich finde. Dabei konnte selbst ich wieder ein bisschen weich werden. Für einen Tango zumindest.

3 Gedanken zu “Der letzte Tango

  1. Schade, dass es mit dem Tango tanzen mit dem Liebsten vorbei ist. Ein weiteres Kapitel im Buch abgeschlossen. Aber schön, dass Du merkst, dass die Kinder (auch daran) wachsen, und wo Deine Stärken sind.

    Die Freunde die bleiben sind wichtiger. Und, wenn Du Zusammenhang in der Familie hast – auf sie kann ich immer zählen. Und irgendwann sagt jemand zu Dir, den Du nicht kennst, wenn Not am Mann ist, rufen Sie an… Auch das erlebt man.

    Nur auf Bekanntschaften für gute Zeiten kann ich jedenfalls gut verzichten. Dafür habe ich Freunde weltweit gewonnen, auch virtuelle.

    Take care,
    Birdie

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  2. Sehr berührend! Und traurig, aber das mit den Tränen kenn ich auch. Deine Beiträge helfen mir immer wieder durch diese unglaublichen Situationen durchzukommen und zu wissen, dass es auch andere gibt, die dieses unbeschreibliche erleben.
    Wünsche dir viel Kraft!

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  3. Schade für euch und gerade für dich das die schönen Dinge wegen dieser Krankheit enden. Wir haben heute bei unserem Therapeuten versucht meiner Frau klar zu machen, das wenn ihre Logopädischen Übungen immer mehr Zeit brauchen sie Unterbrechen soll und die ihr verbleibende Zeit auch für noch schöne Dinge nutzen soll. Solange das Radfahren und Schwimmen etc. noch geht.
    Ironischer weise ist am Samstag in den Räumen in den unser Tangokurs läuft eine Hommage an Leonard Cohen…
    Ich wünsche dir, das du in der Zukunft wieder einen Weg findest deinen Tango zu tanzen, in dieser Situation braucht es Ablenkung.

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