Familie, später

Genau ein Jahr nach der Diagnose droht unsere Familie auseinander zu brechen. Jeder strebt in eine anderes Richtung. Das heißt, wir drei Gesunden driften weg, der Kranke bleibt, wo er ist. Und genau das ist auch das Problem.

Die Große lässt sich gar nicht mehr am Esstisch blicken. Gemeinsame Mahlzeiten: Nein, Danke. Das ist sicher auch zum Teil ihrem Alter – 16 – geschuldet. Vollbild Pubertät. Aber auch die Krankheit und ihr Unwillen sich der Realität zu stellen, haben ihren Anteil. Besonders deutlich wurde dies vergangene Woche, als mein FTD-Mann für ein paar Tage für eine Studie in einer anderen Stadt war. Drei Tage lang gab es ein richtiges Familienleben mit gemeinsamem Essen, Gesprächen, Absprachen, wer was macht. Jetzt ist wieder Schweigen angesagt. Sie ignoriert ihn komplett. Sie hat ihrem Vater nicht mal zum Geburtstag gratuliert. Das tat sogar mir weh.

Die Kleine klammert sich immer mehr an mich. Und wenn wir einen Freund der Familie treffen, hängt sie sich an ihn in aufdringlichster Art und Weise. Ganz klar, ihr fehlt der Vater. Sie spürt den Verlust und sucht Ersatz. Das mit anzusehen ist schwer zu ertragen. Und noch schwerer zu wissen, dass der Vater ja noch da ist, aber nur noch als Schatten seiner selbst. Das kleine Kind spürt das deutlich.

Und ich bin am liebsten auf Arbeit, weit weg von der FTD und dem Zombie, der einmal mein Mann war. So oft es geht, vermeide ich die Abende zu Hause. Familie? Sind wir nicht mehr. Jeder von uns versucht, sich irgendwie zu retten – allein. Wir sind drei Einzelkämpfer gegen den Drachen FTD. Dabei müssten wir gerade jetzt zusammenhalten. Aber das kriegen wir nicht hin. Denn dafür müssten wir erst mal miteinander sprechen. Darüber, was uns Angst macht. Darüber, wie eine Lösung für unsere Familie aussehen könnte. Wie es mit dem kranken Mann/Vater weitergehen soll. Wir müssten über das Unaussprechliche sprechen. Das Pflegeheim und den Tod. Der nicht plötzlich kommen wird, sondern ein langsames, quälendes  Dahinsiechen werden wird. Quälend auch oder vor allem für die, die es mit ansehen müssen – also wir. Der lange Abschied, der das Wesen aller Demenz-Erkrankungen ist.

Erst wenn wir dieser Realität ins Gesicht geblickt und das Unvermeidliche ausgesprochen haben, können wir wieder eine Familie sein. Es wird eine kleine Familie sein, eine Familie ohne männlichen Part, aber eine Familie. Das ist meine Hoffnung, das es eines Tages so sein kann.

6 Gedanken zu “Familie, später

  1. Wahnsinn was ihr da als Familie leisten müsst, was deine Kinder in dem Alter aushalten müssen.
    Ich fürchte das geht gar nicht ohne ein wenig auseinanderbrechen, einfach weil jeder einen anderen Weg hat damit umzugehen.
    Aber ihr könnt dann auch wieder zusammen wachsen, dann wenn eines Tages wieder so etwas wie Normalität einkehrt. Bis dahin wünsche ich dir ganz viel Kraft!!!

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  2. Hallo, ich musste erst mal ein paar Stunden über deinen letzten Eintrag grübeln. Ich konnte inzwischen unserer Tochter klar machen das es mir wichtig ist, das wir zumindest Zuhause noch zusammen essen. In Gaststätten ist es ihr das Verhalten ihrer Mutter peinlich – da erwarte ich auch von einer 13-jährigen keine so tiefes Verständnis dafür. Neulich fragte sie mich wie es mit Mama weitergeht, ich habe es ihr gesagt. Ich kann inzwischen auch darüber reden, meine Kollegen und unser Umfeld wissen über die FTD meiner Frau Bescheid und mir hilft diese Offenheit ein Stück weit. Unsere Tochter verheimlicht es in ihrer Klasse und vor einigen Freundinnen. Sie muss für sich diese Entscheidung treffen. Ich kann ihr nur anbieten das ich da bin wenn sie mich braucht, und ich glaube die Kinder brauchen uns noch mehr als wenn wir Alleinerziehend wären.
    Ich wünsche dir noch viel Kraft
    Jürgen

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  3. Hallo zusammen. Ja das ist auch eines der furchtbaren Themen,denn wenn es um die Kinder geht finde ich ist man noch hilfloser und alleine.Mit wem soll man sich denn besprechen?Ausser vielleicht noch in so einer Gruppe.Mein Sohn ist nun 21 .Als er 14 Jahre war und wir noch keine Ahnung hatten,dass das seltsame Benehmen seines Vaters,meines Mannes eine FTD ist,sagte er zu mir. Mamma der Pappa ist eigentlich dümmer wie ich.Der weiß weniger wie ich. Damals schon hat er immer nur übers Wetter und die Stausituation auf der Autobahn gesprochen.Man konnte mit ihm kein vernünftiges Gespräch führen. Es kamen immer nur so Floskeln und banale Sachen. Mit einem jungen Burschen der in der Pupertät ist ist das schwierig.Er hat sich immer mehr zurück gezogen. Ich konnte fast nicht mehr an ihn ran.Freunde hat er nie nach Hause gebracht,da hat er sich einfach geschämt.Überhaupt hat ihm der Vater gefehlt und konnte das nicht wirklich ausgleichen.Schlimm wurde es als er 17 war.Ein Freund von ihm ist in die Drogenszene abgerutscht. Ich weiß dass er darin auch teilweise Trost gesucht hat.Da steht man da und kann nichts machen.Man kann nicht mit ihm sprechen.Nicht im guten und nicht schimpfen.Trotzdem habe ich versucht ihn in Ruhe zu lassen und ab und zu die günstige Gelegenheit genutzt ein bisschen mit ihm zu reden,damit ich nicht ganz den Kontakt verliere. Das ist immer eine Gradwanderung.Wir haben vor 31/2 Jahren erfahren dass mein Mann FTD hat.Das hat es für einen Sohn nicht einfacher gemacht.Für mich auch nicht.Die Krankheit meines Mannes verläuft sehr langsam. Das größte Problem ist die Emphatie mir gegenüber. Meinem Sohn würde er sich am liebsten an den Hals hängen.Also ich verstehe Dich total,das ist alles sehr schwierig. Als mein Sohn mit seiner Ausbildung fertig war wollte er gerne ein paar Monate nach Neuseeland. Darin habe ich ihn unterstützt wie ich nur konnte. Das hat ihm sehr gut getan. Jetzt ist er 21 Jahre die Situation wird nicht einfacher.Mein Mann wird noch längere Zeit bei uns wohnen.Er ist einfach noch körperlich zu fit.Aber ich sehe dass mein Sohn mir jetzt schon immer mehr eine richtige Stütze ist. Ich kann mich schon einmal ein bisschen mit ihm besprechen und das tut so gut.Also Du hast jetzt noch diese schwere Zeit vor Dir,aber versuche dass Du den Draht zu deiner Tochter nicht verlierst,ohne jämmerlich oder lästig zu erscheinen.Mädchen sind ja manchmal in ihrer Entwicklung etwas schneller.
    Viel Kraft wünsche ich Dir.
    EineGleichgesinnte.
    Marianne

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  4. Hallo zusammen.
    Bei meinem Mann ist kürzlich nach 2jähriger Suche jetzt auch nichtflüssige primär progriente Aphasie festgestellt. Er kann jetzt an einer Studie „Aida“ teilnehmen, wo ein Medikament der Firma AXON Neuroscience SE getestet wird. Erkundige dich doch mal, ob das für euch auch relevant wäre. Ich hoffe es für uns alle, dass es damit vielleicht dann doch endlich ein Medikament gegen diese schlimme Krankheit geben wird.

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    • Danke für den Hinweis! Ich habe allerdings wenig Hoffnung. Unser Neurologe meint, die Tests werden höchstens der nächsten Genenration helfen. Die Nervenzellen, die schon untergegangen sind, kommen ja nicht zurück…

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