Logopädie im Doppelpack

Die ganze Absurdität unserer Situation zeigt sich in zwei Terminen, die jede Woche anstehen. Es sind Termine beim Logopäden: mittwochs für unser Vorschulkind, freitags für meinen Mann. Zwei sehr ähnliche Termine, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und die beide in der selben Praxis stattfinden.

Unsere Kleine lispelt ausgesprochen niedlich, was ihr vor Schuleintritt im September abgewöhnt werden muss. Findet zumindest die Kinderärztin. Ich halte ihren S-Fehler höchstens für ein kosmetisches Problem, will meiner Tochter aber einen möglichst reibungslosen Schulstart ermöglichen. Also hab ich der Therapie zugestimmt.

Mein Mann ist die eindeutig größere Baustelle. Das rapide Schwinden seiner Sprachfähigkeit durch die Primär nicht flüssige Aphasie soll durch die Therapie verlangsamt werden. Von Aufhalten oder gar rückgängig machen war nie die Rede. Weder beim Neurologen, noch beim Logopäden. Weil man es gar nicht aufhalten oder rückgängig machen kann. Da bin ich Realist und muss es sein.

Während unser Vorschulkind mit jeder Therapie-Stunde korrekter spricht, und der S-Fehler weniger hörbar wird, sehe ich bei meinem Mann überhaupt keine Verbesserung. Im Gegenteil. Immer mehr Sprache geht verloren. Außer Routine-Sätzen, wie „Ich mach Frühstück“ oder „Schmeckt gut“, sagt er nur noch selten etwas. Und Schreiben geht so gut wie gar nicht mehr. Das Lesen wird auch immer schlechter. Bisher hat er mit einem Einkaufszettel Lebensmittel eingekauft. Seit einiger Zeit kauft er teilweise andere Sachen als die, die auf dem Zettel stehen. Zum Beispiel Koriander statt Oregano. Und das liegt ganz sicher nicht an meiner Handschrift. Ich vermute, dass er den Einkaufszettel gar nicht richtig lesen kann und sich dann im Laden versucht zu erinnern, was ich gesagt habe. Fehlte nicht ein Gewürz? Also kauft er irgendeines. Immerhin ist Koriander näher an Oregano dran als beispielsweise Chili oder Ingwer.

Weil einmal die Woche eine Stunde Logopädie so wenig geholfen hat, soll er jetzt zweimal die Woche hingehen und zusätzlich Hausaufgaben machen, meint der Neurologe. Ich glaube nicht, dass das irgendetwas bringt. Aber so hat er jede Woche zwei feste Termine. Und das ist auch schon mal was. Und wer weiß, vielleicht wäre es ja ohne die Logopädie heute noch schlechter.

Und so gehen Vater und Tochter weiter zum Logopäden. Die Kleine, um korrekt sprechen zu lernen. Der Vater, um das Verstummen noch wenig aufzuhalten. Die Zeit ist der Freund der Tochter und der Feind des Vaters.

Vielleicht ist er schon stumm, wenn sie im Herbst eingeschult wird. Und ich werde mir sagen: Immerhin haben wir versucht, es aufzuhalten. „Immerhin“ scheint mein Lebensmotto als FTD-Angehörige zu sein. Immerhin: Das bedeutet sich zufrieden geben mit einem suboptimalen Zustand. Sich fügen. Ich hasse dieses kriecherische, demütige, schicksalsergebene „Immerhin“. Aber was hilft’s – mein Leben besteht mittlerweile aus lauter „Immerhins“.

4 Gedanken zu “Logopädie im Doppelpack

  1. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Sie müssen jetzt für ihre Tochter da sein. Mit Einkaufen wurde es auch immer schwieriger. Als er dann in einem betreuten Wohnen untergebracht war, hat er so viel eingekauft und nicht bezahlen können. Die Kassiererin hat die Polizei alarmiert und er wurde in Handschellen in das nächste Präsidium gefahren. Sie haben dann ihn wieder in das betreute Wohnen gebracht, weil er offensichtlich nicht seiner Sinne war. Von einer Strafanzeige haben sie Gott sei Dank abgesehen. Da das nicht mehr ging, haben wir uns für Heim entschieden, wo er versorgt wird. Das ist eine schwere Entscheidung. Heim und Heim ist nicht gleich. Da kann ich nur die Albert Schweitzer Stiftung empfehlen. Man kann das nicht ewig durchstehen und sich immer über den Verwandten rechtfertigen, die die Lage oft runterspielen. Es wird immer einen Schuldigen gesucht. Wir sind es nicht. Es ist eine Krankheit und sie wird ein Ende haben. Da hilft nur nach vorn zu sehen und für Deine Tochter da zu sein. Bring ihn in ein Heim unter, damit Du wieder durchatmen kannst.

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  2. meine Frau ist seit 2 Jahren 1 x Woche beim Logopäden, seit 1 Jahr wird Sie in der Tagespflege 1 x Woche besucht, ging relativ gut, (seit einiger Zeit spricht Sie überhaupt nicht mehr) vor 10 Wochen war der Logopäde das letzte mal bei Ihr, am Anfang als er nicht kam und ich fragte Sie beim Abholen aus der Tagespflege, sagte Sie : der Logopäde war nicht da, (hat also gewartet und war enttäuscht)
    Rücksprache mit dem Logopäde, war mal in Urlaub, dann kein Personal-Dr. hat Verordnung nicht ausgestellt,meine Frage was halten Sie von meiner Frau wegen Sprache? macht es noch Sinn?: wo Input-kommt auch Output war die Antwort.
    Nun versuchte ich einen andern zu finden, he da stehen 30 Patienten in der Warteschlange,
    Händeringend werde Logopäden gesucht…
    lg
    manni

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  3. The dread of watching the degeneration is so utterly frustrating for both the carepartner as well the affected. There is no winning, only patience, loving and compassion. All of which so hard when so easily misunderstoood. I can only hope this treacherous disease and my lived experience with it, makes a safe opening for other’s to enlighten the road ahead for others and teach those trained to care for us, what works and what has no benefit. Each person will experience this disease as personally as their own fingerprint. We all know the ending. Making the path more coherent for other’s is all can I do.

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  4. Ich habe lange überlegt, ob und ggf. in welcher Form ich mich äussern soll ( oder darf ? ). Ich stehe irgendwo zwischen den Welten.
    Zum einen kommt mir das sprachlos sein, das suchen nach Worten und Begriffen und das letztendlich Schweigen bekannt vor. Zum anderen kenne ich auch das Rufen, Bitten und Warten auf Kommunikation … Nur: Die Verzweiflung liegt bei meiner Frau – und ich bin meist unfähig auf Verbal-Kommunikation einzusteigen.
    Weshalb schreibe ich das jetzt? Die geschilderte begrenzte verbale Kommmunikation erinnert mich an eigenes agieren. Ich befinde mich permanent in einem „Gedankenkreis“ was muss, was ist wichtig und was ist so wichtig, das es ausge- und besprochen werden muss, und was ist entbehrlicher „small talk“ der nur das Hirn belastet. Ich bemerke oft, dass ich bei small talk die Ohren auf Durchzug habe und mich anschließend an nichts mehr erinnere; problematisch, wenn dann doch wichtigere Informationen/ Randinformationen eingeflossen waren …
    Ich schreibe dies bestimmt nicht um zu quälen! – nur vielleicht ein anderer Ansatz etwas vielleicht zumindest im Ansatz zu verstehen.
    Ich habe nie viel geredet, vielleicht auch wieder im Ansatz ein „Männerproblem“. Beruflich hatte ich Probleme zu lösen, meist technischer Art in Planung und Instandhaltung, da war ich gut, konnte gut interagieren und auch Erfahrung und ganz viel übergreifendes Wissen aufnehmen, aufarbeiten und weitergeben. Speziell, wenn ich emotional in einer Beziehung involviert bin/ war, war Streit, Diskussion immer etwas, was ich eigentlich vermeiden oder durch nonverbale Kommunikation, Gesten und Gefühle ausdrücken wollte. Eigentlich immer in der Erwartung, dass das in einem Idealfall und bei einer engen Beziehung funktionieren müsste. – Nur dieser Idealfall – ich habe ihn erleben dürfen – vor ungefähr 2 Jahren mit einer Frau an 2 Tagen jeweils nur für einige wenige Minuten habe ich es nach über 60 Lebensjahren geschafft Kontrolle und Selbstkontrolle loszulassen und pure Emotionalität und Verstehen zu empfinden. Nonverbal ! (und nicht auf Sex reduziert !!!)
    Das „Erwachen zurück in die Realwelt“ war danach einer meiner schlimmsten Momente.
    Ich habe anschließend versucht einen Weg zu finden, der es mir unmöglch machen sollte, jemals wieder rein emotional zu fühlen – Selbstkontrolle auszuschalten.
    Ich habe wahrscheinlich einen Weg gefunden mittels Gedanken und Atemsteuerung jene Hirnbereiche zu schädigen, die für Emotionalität relevant sind. Nur ist das ganze so komplex geworden, dass ich die Versuche blitzschnell abbrechen musste. Neben Emotionalitätsdämpfung bekam ich auf einmal auch Probleme mit „Informationsaufnahme“ und den Übergängen Kurzzeit – Mittelfrist- Gedächtnis. Hier versuche ich gerade gegenzusteuern, gezielt zu trainieren, mich zu Konzentration zu zwingen, Sport zu treiben und neues zu lernen um nicht zu „verblöden“…
    Ein Ansatz vielleicht auch für die Auslösung einiger Formen der FTD: Überemotionale Fähigkeiten/ Reaktionen der/ des Betroffenen und Einhergehen mit Atemstörungen (temporäre Sauerstoff-Unterversorgung beteiligter Hirnregionen). Kann auch nächtens bei Träumen/ Schlafen passieren und wäre dann nicht selbst steuerbar.

    Ich höre jetzt hier auf. Es ist nicht meine Intention einen „Unterblog“ zu eröffnen.
    aphasialand hat mich ergriffen und mir manches deutlicher gemacht, sowohl was mein eigenes Leben, als auch das meiner Umgebung (Familie und einige wenige Freunde) betrifft. Vielleicht habe ich noch die Chance irgendwie gegenzusteuern. Danke auf alle Fälle für Einblicke, die ich bekommen durfte und darf.

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