Ich möchte ein Eisbär sein

Termin beim Neurologen. Wir haben endlich einen gefunden, der sich mit frontotemporaler Lobärdegeneration (FTD) auskennt – juhu! Trotzdem sind wir auch nicht schlauer als vorher. Manches ist sogar noch ungewisser. Auf meine Frage nach der Lebenserwartung, die mein Liebster hat, sagte der neue Neurologe doch tatsächlich: „Zwei bis 30 Jahre – alles ist drin.“ Echt jetzt? Bis zu 30 Jahre mit einem Mann leben, mit dem kein Gespräch möglich ist und dessen Hirn immer weiter schwindet? Also ich bin raus.

Er selbst war eher davon geschockt, dass er kein Auto mehr fahren soll. Der Neurologe rät „dringend davon ab“. Für mich völlig logisch und überfällig, für ihn eine weitere Einschränkung seiner Selbstbestimmung.

Die Tests haben ergeben, dass jetzt nicht mehr nur die Sprachproduktion betroffen ist, sondern auch schon Teile des Sprachverständnisses. Zum Beispiel ist das „Instruktionsverständnis“ eingeschränkt. Das ist auch der Grund, warum er die Anweisungen des Tanzlehrers nicht in Bewegungen umsetzen kann – er versteht sie gar nicht. Komplizierte Wörter nachsprechen kann er auch nicht mehr. Diese Tests sind einfach nur furchtbar deprimierend.

Der Neurologe hat meinen Mann in eine zentrale Datenbank für FTD-Kranke aufgenommen. Falls es demnächst eine Studie oder sogar ein Medikament geben sollte, werden wir sofort informiert. Bis dahin kann auch dieser Neurologe nichts anderes bieten als den stetigen Hirnverfall alle sechs bis zwölf Monate zu kontrollieren und zu dokumentieren.

Ach ja, eine Sache hatte er noch: Es besteht die ganz winzig kleine Möglichkeit, dass es gar nicht FTD ist, sondern etwas, das behandelbar wäre. Es könnte die Krankheit sein, an der der Berliner Eisbär Knut gestorben ist – kein Witz. Knut litt unter einer sehr seltenen Gehirnentzündung, die nicht durch Viren oder Bakterien ausgelöst wird, sondern durch eine Autoimmunreaktion. Diese Hirnentzündung macht sich durch ähnliche Symptome bemerkbar wie eine FTD. Das abzuklären hat der erste Neurologe offenbar versäumt. Und müsste jetzt in einer weiteren Nervenwasseruntersuchung geprüft werden. Um ganz sicher zu gehen. Aber wir sollen uns bloß keine Hoffnungen machen. Es geht nur darum, auch noch die letzte Möglichkeit einer Fehldiagnose auszuschließen. Sagt der neue Neurologe.

Ich möchte ein Eisbär sein…

 

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