„Wie wollen Sie das alles schaffen?“ Das ist die Standard-Reaktion auf meine Situation. Vollzeit arbeiten und ein dementer Ehemann, das mag ja noch angehen. Aber auch noch kleine Kinder zuhause? Das ist offenbar für die meisten unvorstellbar. Schnell wird das Thema gewechselt. Bloß nicht noch mehr wissen müssen.
Dabei ist die Tatsache, dass wir Kinder haben, eins der wenigen positiven Dinge, die mir das Leben noch zugesteht. Wir haben zwei: eins mitten in der Pubertät, eins im Vorschulalter. Kinder also, die noch lange bei uns, besser gesagt bei mir, leben werden. Ja, Kinder machen viel Arbeit und kosten noch mehr Geld, aber trotzdem bin ich froh, dass sie da sind. Ohne sie würde das Leben nur noch aus Krankheit, Verlust und Verfall bestehen. Mir tun all die Frauen im Rentenalter leid, die außer ihrem kranken Mann niemanden mehr im Haus haben.
Meine Kinder bringen Leben ins Haus, Zuversicht und Neugier. Bei ihnen geht es nicht um Abbau von geistigen Fähigkeiten sondern um Lernen von neuen Dingen. Um Aufblühen statt um Vergehen. Es ist eine Freude dabei zuzusehen, wie sie jeden Tag ein kleines Stück wachsen. Besser als jedes Antidepressivum. Und das krasse Gegenteil zu einem Menschen mit Frontotemporaler Demenz. Ohne die zwei wäre mein Leben noch viel einsamer. Jeden Abend sitze ich neben einem nahezu stummen Mann auf der Couch, Gespräche kann er nicht mehr. Es wäre also ganz schön still bei uns zuhause, wenn wir kinderlos wären. Die Kinder lenken mich ab, wenn ich mal wieder in Grübeleien zu versinken drohe. Allein schon, weil es immer was zu tun gibt. Elternabend, Schulfeier, Kita-Fest, Schwimmkurs, Kindergeburtstag – früher habe ich diese Elternpflichten gehasst, jetzt genieße ich sie. Normale Menschen mit normalen Alltagsproblemen treffen – juhu! Sich über das neue Prüfungssystem an der Schule aufregen? Ich bin dabei! Die Kitagruppe zu Lagerfeuer und Stockbrot in den Hinterhof einladen? Aber gerne doch!
Die allerbeste Zeit hatte ich, als eine Gastschülerin aus Russland für ein paar Wochen bei uns gewohnt hat. Ich kam gar nicht dazu, an die FTD zu denken. Schließlich mussten wir unserem Gast etwas bieten und die Stadt zeigen, Ausflüge unternehmen. Unser Gast merkte gar nicht, dass mit meinem Mann etwas nicht stimmt – Sprachbarriere sei dank. Und so brauchten wir die Krankheit auch nicht zu thematisieren. Die FTD rutschte einfach so in den Hintergrund und fiel gar nicht weiter auf. Für ganze drei Wochen. Ja, das war tatsächlich die letzte glückliche Zeit in meinem Leben.
Um auf die Frage am Anfang zurückzukommen: Wie ich das alles schaffen will? Keine Ahnung. Ich weiß nur eins: Wenn ich es schaffe, die Krankheit zu überleben, dann nicht trotz, sondern wegen der Kinder.